andreas rehschuh
Regisseur | Schauspieler | Autor
Fucking Åmål
Lukas Moodysson
mit:
Leonie Rainer, Denia Nironen, Lea Willkowsky, Friedemann Eckert, Arne Gottschling
© G. Gnaudschun / G.Walther
Presse:
Von der Leinwand auf die Bühne:
Lukas Moodyssons „Fucking Åmål" im Hans Otto Theater Potsdam
"Lukas Moodyssons Debütfilm war ein wahrer Kinohit. Weil „Fucking Åmål" die Coming-of-Age-Probleme von zwei jungen Mädchen, die in der schwedischen Kleinstadt Åmål gemeinsam zu ihrer eigenen Sexualität finden, so locker wie ernsthaft zeigte.
Natürlich haben sich die vom Film im Jahre 1998 behandelten Themen pubertierender Jugendlicher nicht grundsätzlich geändert. Kühn ist es trotzdem vom Potsdamer Hans Otto Theater, diese Filmvorlage auf die Bühne zu bringen. Denn gegen die bunte Kunstwelt des Films (und ihrer aktuellen Erfolge mit Komödien wie „Fack ju Göhte") muss das Theater ein lebendiges Spiel setzen, bei dem die Schauspieler - indem sie Figuren gestalten - zugleich authentisch wirken.... "
"...Auf der offenen Bühne des Reitstalls, der kleinen Bühne des Hans Otto Theaters, treibt Rehschuh seine Darsteller in eine große spielerische Heftigkeit: wenig Requisiten, viel Bewegung. Unterstützt und kommentiert von Popmusik, toben sich die Darsteller durch eine Handlung, die von der Suche nach Coolness und schrillen Partys bestimmt ist.
Die Mädchen sind mit ihren Klamotten beschäftigt, betrinken sich und knutschen mit Jungen rum, obwohl sie die eigentlich nicht toll finden. Was sie wirklich wollen, wissen sie nicht genau. Die sechzehnjährige Elin langweilt sich voller Unzufriedenheit und geht deshalb mit ihrer Schwester (überzeugend: Denia Nironen) auf die Geburtstagsparty der nicht angesagten Agnes. Dort sind sie die einzigen Gäste der Außenseiterin. Als Elin wegen einer Wette die als lesbisch geltende Agnes, deren Einsamkeit die insgesamt überzeugende Lea Willkowsky ein klein wenig zu ernsthaft existenziell gibt, auf den Mund. Aber Elin, oh Schreck, empfindet etwas dabei!
Peinlich oder ehrlich, das ist die Frage, die das Stück nun durchdekliniert bis zum guten Schluss. Bei dem sich die beiden Mädchen nicht nur finden, sondern auch selbstbewusst gemeinsam outen. Es ist eine Inszenierung, die mit Schwung immer wieder die leichte Didaktik der Vorlage überspielt und ihr junges Publikum deutlich erreicht.
Ihren entscheidenden Kraftquell hat sie in Leonie Rainer, die in knappen Jeansshorts und mit engem T-Shirt überm nackten Bauch furios die Elin spielt. Ein Mädchen, das sich zugleich vorführt und ausstellt, aber auch auf der Suche nach sich selbst ist. Leonie Rainer gelingt es wunderbar, ihre Elin schier vor Lebendigkeit explodieren zu lassen, um dann wieder in unsichere Nachdenklichkeit zu fallen. Die Darstellerin verlebendigt ihre Figur im direkten Spiel und nimmt ihr dadurch deren Demonstrationscharakter.
So findet die Theaterinszenierung ihren eigenen Stil, bei dem ihre Unterhaltsamkeit fast unmerklich auf eine andere Bedeutungsebene gehoben wird. Zu Recht viel Beifall des jungen Publikums."
Hartmut Krug, MOZ
Die beste Bitch
"...Das HOT-Theaterstück „Fucking Åmål“ ist mehr als ein belangloses Porträt über das Erwachsenwerden
Zugegeben: Die besten Voraussetzungen sind es nicht, wenn man die – Achtung, Zitat – „Scheiß Lesbe“ in einer schwedischen Kleinstadt ist. Erst recht nicht, wenn das komplette soziale Netz in diesem gottverlassenen Kaff so sehr mit sich selbst beschäftigt ist, so in seinem immer gleichen Trott, dass es gar keine Möglichkeit gibt, diese Außenseiterrolle jemals verlassen zu können. Aber an den schlimmsten Orten passieren ja oft die besten Geschichten..."
"...Agnes, gespielt von Lea Willkowsky, ist also ganz unten in der sozialen Hierarchie dieser Siedlung namens Åmål, irgendwo im schwedischen Hinterland, weit entfernt vom Sehnsuchtsort Stockholm. Das Stigma der Homosexualität klebt an der 15-Jährigen, fast, als wäre sie eine mittelalterliche Infektion. Sie ist für die anderen ein Opfer, ein gefundenes Fressen. Und als ob das im Dauersturm der Adoleszenz nicht unsexy genug wäre, ist ihr einziger Anschluss nur die angeknackste Versagerin Victoria – brillant gespielt von Denia Nironen als Teenager –, die sich im Rollstuhl durch die feindselige Szenerie chauffiert, „eine spastische Kuh, die sich Justin Bieber reinzieht“, so die ortsinterne Zuschreibung. Eine Lesbe und eine Behinderte also, in eigenartiger Symbiose, abgestempelt als Verlierer. Ganz anders als Agnes ist Elin (Leonie Rainer), die sich mit ihrer ein Jahr älteren Schwester Jessica (wieder Denia Nironen) um die Hoheit prügelt, die bessere Bitch zu sein: Vielleicht das typische Verhalten für eine 15-Jährige, die glaubt, sich den Platz im Leben durch Lautstärke sichern zu müssen. Als sich Elin und Agnes auf einer Party schließlich – so muss es ja kommen – doch annähern, werden die festgefahrenen Strukturen ordentlich aufgebröckelt. Das liegt hauptsächlich an der großartigen Leonie Rainer, die über die Bühne fegt, als ob es kein Morgen gibt.
Ein Theaterstück, das für Jugendliche geschrieben wurde, muss vielleicht einiges bieten, um Aufmerksamkeit beim Publikum zu erzeugen – und das geht nun mal am besten durch Lautstärke....Irgendwann lichtet sich dann aber der Nebel schriller Gesten – und offenbart die tieferliegenden Gemeinheiten dieser Coming-of-Age-Geschichte. Überforderte alleinerziehende Väter etwa, die der Dominanz der Teenager rein gar nichts entgegenzusetzen haben. Überhaupt sind die Männer im Stück eher die Verlierer, bestenfalls nützliche Idioten – ein fast schon feministisches Plädoyer entsteht so.
Dass das so gut gelingt, ist nicht selbstverständlich: Das Genre des Jugendtheaters hat es nicht gerade leicht am Hans Otto Theater: Die Zielgruppe ist finanzschwach, mit niedrigschwelligen Angeboten lässt sich der Aufwand kaum refinanzieren – weshalb ohne Doppel- und Dreifachbesetzungen kein Stück zu machen ist. Unter diesen erschwerten Bedingungen ist „Fucking Åmål“ doppelt gut gelungen: Mit welcher Freude Denia Nironen, Friedemann Eckert und Arne Gottschling zwischen den Rollen switchen, das wirkt schnell ansteckend. Auch für Erwachsene."
Oliver Dietrich, PNN